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Die Geschichte des Friedhofs Böhlen

(Quelle: Friedhofskonzeption 2007, LandschaftsArchitektur FRANZ)

 

In den 1920er Jahren erlebte Böhlen ein starkes Bevölkerungswachstum durch den Zuzug zahlreicher Arbeiter des Braunkohlen- und Großkraftwerkes Böhlen der Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW). Gleichzeitig sollte der Ort Zeschwitz dem fortschreitenden Braunkohleabbau weichen und der dortige Friedhof geschlossen werden. Ein neuer Friedhof wurde benötigt.

 

 

Über die Finanzierung der Anlage gab es Streit zwischen der Aktiengesellschaft Sächsische Werke und der Kirchgemeinde, da aus Sicht der Kirchgemeinde die Notwendigkeit eines neuen Friedhofs erst durch das Wirken der ASW und den Abbau der Braunkohle gegeben war. Zudem verfügte die Kirchgemeinde nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel. Schließlich kam es aber zu einer Einigung und die ASW beteiligte sich an der Einrichtung des neuen Friedhofs.

Auch die geplante Lage zwischen zwei Bahnstrecken sorgte für Kontroversen, da die für einen Friedhof erforderliche Ruhe an einem solchen Standort nicht gegeben war.
Trotzdem wurde der neue Friedhof am südwestlichen Stadtrand von Böhlen in jenem Gleisdreieck angelegt. Eine Abschirmung vom Zugverkehr sollte durch eine geeignete Bepflanzung mit dicht stehenden Fichten und schnellwüchsigen Pappeln erreicht werden.

 

Mit der Anlage des Friedhofs wurde im Jahr 1928 begonnen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammt der Entwurf von Dr. Hugo Koch (1883-1964), einem bedeutenden deutschen Architekten und Autor von Schriften zur Gartenkunst. In einem Schreiben des Kirchenvorstandes an das Evangelisch-Lutherische Landeskonsistorium Dresden vom 20.09.1929 ist die Rede von den von „Dr. Ing. Koch nach den Wünschen des Kirchenvorstandes entworfenen gärtnerischen Anlagen nebst Brunnen und Kriegerdenkmal“.

 

Aus diesem Brief gehen weitere Einzelheiten zur Gestaltung der Anlage hervor:

 

„Böhlen, am 20.-September 1929.

 

An das

EV.-LUTH.LANDESKONSISTORIUM

D r e s d e n- A.

 

Betr.: Friedhofsanlage Böhlen.

 

Anliegend werden dem Landeskonsistorium die von Herrn Baurat a.D. Dr.Ing. Koch nach den Wünschen des Kirchenvorstandes entworfenen gärtnerischen Anlagen nebst Brunnen und Kriegerdenkmal für die Friedhofsanlage Böhlen zur gefl. Kenntnisnahme mit der Bitte

um Genehmigung vorgelegt.

Wie aus dem Lageplan hervorgeht, soll der eigentliche, Friedhof ringsum aufgeforstet werden, so dass er in einigen Jahren durch einen Waldstreifen vollkommen von der heute noch landwirtschaftlich verwerteten Umgebung abgeschlossen ist. Zwischen der Strasse und der Friedhofshalle soll zwischen die Eingänge eingeschaltet das tiefer angeordnete Kriegerdenkmal angelegt werden. Die Friedhofshalle mit dem umliegenden Gelände wird erhöht, um das Gebäude herauszuheben, der übrige Teil bleibt tiefer liegen. Die etwas ungünstigen Geländehöhen zur Espenhainer Bahn und Zufahrtsstrasse bedingen diese Höhenunterschiede, die aber auch geeignet sind, der Gesamtanlage ein

abwechselungsreiches und gediegenes Gepräge zu geben. Westlich des Gebäudes schliessen sich ein breites Rasenbeet mit Zierbrunnen, beiderseits die Zugangswege und seitlich dieser Wege der Urnenhain und die Stätte für Erbbegräbnisse an. Weiter westlich kommen

dann die Plätze für die Einzelgräber. Alle Begräbnisstätten werden, da hinreichend Platz vorhanden ist, weitläufig gehalten und sollen möglichst nur durch niedrig gehaltene kleine Hecken abgegrenzt werden, um ein einheitliches stimmungsvoll wirkendes Ganze zu erzielen.

Vorläufig sollen die Plätze für die Einzelgräber als Rasenrabatten ausgebildet werden. Am westlichsten Ende des Mittelweges wird ein einfaches grosses Holzkreuz angeordnet, um einen würdigen Abschluss zu erzielen. Die Gesamtanlage ist axial zum Gebäude aufgeteilt, die Wege breit gehalten, von Bäumen eingefasst. Die Begräbnisstellen erhalten einzelne Baumgruppen.

Die Anlagen sind durch die Pläne näher gekennzeichnet.

Wir bitten, die Genehmigung beschleunigt auszusprechen, da die schöne Zeit noch ausgenutzt werden möchte.

Der Kirchenvorstand

Böhlen-Stöhna-Zeschwitz

 

Anbei: 5 Pläne.“

 

(Quelle: Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde St. Christophorus Böhlen. Pfarrarchiv. Akte Betreff: Friedhöfe Bd.III. Neuer Friedhof Böhlen. Aktenzeichen A 43.)

Die Entwürfe von Hugo Koch für die Schöpfbrunnen und das Ehrenmal für Gefallene im Ersten Weltkrieg (1914-1918) an der östlichen Einfriedungsmauer sind im Pfarrarchiv Böhlen vorhanden. Der im Schreiben von 1929 erwähnte Lageplan konnte bisher nicht ermittelt werden. Allerdings existiert eine Flurkarte aus dem Jahr 1932, welche die ausgeführte Friedhofsanlage zeigt (Abb. 1). Ob Hugo Koch auch an der Planung der Kapelle mitwirkte, ist unklar. Alle realisierten Grundrisse und Ansichten des Gebäudes, die im Pfarrarchiv Böhlen vorhanden sind, tragen die Signatur „Schilling“ (Abb. 2 bis 5). Hier gibt es keinen Hinweis auf Hugo Koch.

Am 29. Juni 1930 erfolgte die feierliche Weihe der Friedhofskapelle (Abb. 6).

Sie wurde im expressionistischen Stil als Putz- und Klinkerbau errichtet und besitzt Arkaden mit großen Spitzbogenöffnungen. Zahlreiche Fotografien vom Anfang der 1930er Jahre (Abb. 7 bis 10) sowie die bereits erwähnte „Flurkarte vom neuen Central-Friedhof von Böhlen-Stöhna-Zeschwitz“ von 1932 geben die prägenden historischen Gestaltungselemente des Friedhofs wieder:

 

  • symmetrische Gliederung der Gesamtanlage

  • rechteckige Form des erhöhten Kapellenvorplatz

  • großzügig gestalteter Rasenplatz westlich der Kapelle, beiderseits mit breiten Wegeflächen und daran anschließende Rasenstreifen mit je sechs Pyramiden-Pappeln zur Rahmung des Platzes

  • trapezförmiges Wegesystem mit breiter Hauptachse und breitem Querweg mit zwei von Trauer-Weiden beschatteten Schöpfbrunnen

  • mit Hecken eingefasste Grabfelder

  • räumliche Strukturierung des Friedhofs mit geschlossenen Gehölzbereichen an den Rändern und offenem Zentralbereich

  • das Hochkreuz als westlicher Abschluss der Hauptachse

  • das symmetrisch gestaltete Ehrenmal östlich der Kapelle für Gefallene im Ersten Weltkrieg (1914-1918)

Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) wurde der nördlich an die Kapelle anschließende Gebäudeteil mit der Friedhofsmeisterwohnung zerstört. Südlich der Grabfelder entstand eine Kriegsgräberanlage für im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff getötete Kriegsgefangene.

Nach 1945 wurde der Friedhof um etwa 40 m nach Westen erweitert. Damit war Platz für zwei weitere Grabfelder entlang der verlängerten Hauptachse. In diesem Zusammenhang wurde die ursprüngliche Einfriedung beseitigt und das Hochkreuz an den neuen Endpunkt der Hauptachse versetzt. Auch nach Süden wurde die Belegungsfläche des Friedhofs zu dieser Zeit erweitert, da die Gräber von Friedhöfen durch den Tagebau zerstörter Ortschaften (Pulgar, Trachenau, Rüben) nach Böhlen umgebettet werden mussten. So entstand das Trachenauer Feld (Trachenau devastiert 1962/65) und das Feld für die Überführten aus Rüben (Rüben devastiert 1956/57). An letztere erinnert heute ein Gedenkstein (Steinkreuz).

Vermutlich Ende der 1960er Jahre wurde eine Birkenallee entlang der Hauptachse gepflanzt, die den Raumeindruck stark veränderte.

In den 1970er Jahren erhielt der Friedhof westlich des Kapellenvorplatzes einen separaten Glockenturm für die Aufhängung und elektrische Betreibung einer Bronze-Glocke, die aus einem Geläut einer anderen Kirche stammte. Die Glocke wurde in den Wendejahren 1990 / 2000 gestohlen. Daraufhin wurde der Glockenturm aus denkmalschutzrechtlichen Gründen wieder beseitigt.

Ende 1983 folgte die Anlage des Urnenhains südwestlich der Kapelle.
Beim Neuausbau der Karl-Bartelmann-Straße wurde das Straßenniveau angehoben und damit auch die Höhenverhältnisse im Eingangsbereich des Friedhofs verändert.

Die Birkenallee entlang der Hauptachse mussten wegen mangelnder Verkehrssicherheit 2009 gefällt werden, so dass der bei der Anlage beabsichtigte offene Charakter der Hauptachse nun wieder hergestellt ist. Außerdem wurden die geschädigten Pyramiden-Pappeln auf den Rasenflächen beiderseits der Hauptachse westlich der Kapelle entsprechend der Friedhofskonzeption von 2007 durch Pyramiden-Eichen ersetzt.

Trotz der Substanzverluste und Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Gestaltung der 1920er Jahre im Wesentlichen erhalten geblieben. An ihr richten sich alle gegenwärtigen und zukünftigen Maßnahmen aus, um den Friedhof denkmalgerecht und ausdrucksvoll im Sinne der historischen Gestaltungsabsicht wiederherzustellen.

 

Bedeutung & Wiederherstellungen

 

Der „Friedhof mit Umfassungsmauer und Kapelle" ist als Kulturdenkmal gemäß § 2 Sächsisches Denkmalschutzgesetz ausgewiesen.

In den Jahren 2006 und 2007 wurde eine Friedhofskonzeption in Abstimmung mit der Kirchgemeinde und den Denkmalschutzbehörden vom Landschaftsarchitekturbüro Franz erarbeitet, welche die Grundlage für bereits ausgeführte und künftige Sanierungsmaßnahmen darstellt.

Zunächst erfolgten zwischen 2013 und 2014 die Sanierung der Feierhalle der Friedhofskapelle und die Wiederherstellung des östlichen und südlichen Abschnittes der gemauerten Einfriedung nach historischem Vorbild.

Durch die Bereitstellung von Fördermitteln aus dem LEADER-Programm konnten im Jahr 2021 auch die denkmalgerechte Sanierung des noch fehlenden nördlichen Abschnitts der Einfriedung und des Kapellenumfeldes finanziert werden.

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